Svenja Leiber

Rezensionen Schipino

 

 

»Svenja Leiber bricht mit einer großen Erzählkunst in die zeitgenössische deutsche Literaturlandschaft ein. Sie ist lakonisch, treffsicher und, als wäre dies eine Selbstverständlichkeit, kitsch- und klischeefrei. Das gelingt ihr, indem sie mit ihrer Wahrnehmung einfach nur sagt, was ist. Aber nicht karg, sondern mit einer reichen Sprache, die ohne Vergleiche und Metaphern auskommt.«

Katrin Schings, Berliner Zeitung

 

»Während Jan sich mit allem schwertut, untergräbt Leiber die von ihrem Text erzeugten Erwartungshaltungen mit Leichtigkeit. Ihrer komplexen Prosa der beiläufigen Subversion gewinnt sie dabei eine verblüffende sprachliche Sinnlichkeit und dingliche Unmittelbarkeit ab. Grandios Jans und Viktors nachösterliche Wanderung von der Eisenbahnhaltestelle bei Dudenki nach Schipino. Die Schilderung der frühsommerlich in Saft und Kraft stehenden Natur wird ergänzt durch ein kurzes Zwischenspiel im Waldbach, das zwischen Geschlechtsakt und Taufe changiert und das Sexuelle und Spirituelle so verbindet wie zur Blütezeit der heidnisch-christlichen Naturmystik im Russland des frühen zwanzigsten Jahrhunderts.«

Florian Balke, FAZ

 

»Schipino ist ein couragiert und intensiv erzählter Roman, dessen Stärke seine unverbrauchte Sprache ist.«

Rainer Moritz, Neue Zürcher Zeitung

 

»Anhand einer kleinen russischen Siedlung hat die 1975 geborene Autorin, die für ihren 2005 erschienenen Erzählband Büchsenlicht großes Lob und wichtige Preise erhielt, etwas Allgemeingültiges erzählt, das über die Zeit bestand hat: Dass Demut – manche sterben ja lieber, als sich ihr zu beugen – uns heilen und retten und nähren kann, jeden einzelnen und die Welt. Das mag jetzt ziemlich pathetisch daherkommen, aber wo die Jury des Deutschen Buchpreises Welthaltigkeit als Kriterium für die Qualität von Literatur ausgerufen hat, muss an dieser Stelle völlig unpathetisch gesagt werden: Schipino ist ein verdammt guter Roman.«

Susann Rehlein, der Freitag

 

»Svenja Leiber siedelt ihren Roman in einer Zwischenwelt an. Zwar trägt er realistische Züge, etwa wenn es um Nachwirkungen der sowjetischen Planwirtschaft geht, um Hinweise auf Tschernobyl oder darum, dass Ribas Großvater während des Zweiten Weltkriegs als Soldat in der Gegend war, sie werden aber meist ins Mythische transponiert. (...) Am ehesten lässt sich SCHIPINO als Nachruf auf jenes Phänomen lesen, das man einmal ›Sommerfrische‹ nannte: eine Auszeit, bei der man wieder zu Kräften kommt.«

Meike Feßmann, Süddeutsche Zeitung

 

»Man kann nicht verhehlen, dass diese Geschichte einen ganz starken Sog entwickelt.«

Sigrid Löffler, Deutsche Welle

 

»Sie schafft es mit einer ganz einfachen Sprache, ohne Schnörkel, Landschaften zu entwerfen, oder auch Licht und Stimmungen. Es ist faszinierend.«

Ramona Hönke (Buchbox, Berlin), RBB Radio eins

 

»Leiber gehört zu jenen ernsten Autoren, die über Jahre keinen Mucks machen, und dann kommen sie eines Tages mit einem Buch um die Ecke, das sich gewaschen hat, rasend gut geschrieben.

Da setzt man sich dann gerade auf den Stuhl, reibt sich die Augen, schlägt noch mal prüfend auf, stakt mit dem Finger durch die Seiten, kommt zum Schluss: Tja, sehr, sehr gut, da gibt es nichts!«

HOTLIST, Die besten Bücher aus unabhängigen Verlagen

 

»Svenja Leibers Roman ist ein in mehrfacher Hinsicht bemerkenswertes Buch, ein Text, der auch das mehrfache Lesen verträgt, ja, sogar danach ruft, und der dennoch seine Geheimnisse nicht in Gänze offenlegt.«

Lesezeit

 

»Svenja Leiber versetzt in SCHIPINO ihren Protagonisten aus einem deutschen Normalleben in die Nähe einer maroden Kolchose, wo ihm sein Freund Viktor den russischen Sommer zeigen will.«

News.de

 

»Unruhige Bilder, ursprüngliche Landschaften, kraftvolle Natur, die den Menschen in seinen Handlungen begrenzt. Mit ›magischer Sprachkraft‹ erzählt die Autorin von einem verlorenen Flecken Erde an der Peripherie der Welt.«

Südhessen Woche

 

"Beschriebe man den Roman mit einer Farbe, dann wäre das ein edles Grau: Nebel aus Melancholie, Verschwiegenheit und drohendem Unheil umgibt die Szenerie ohne Unterlass - und deshalb fesseln all die zarten Andeutungen so sehr, dass man dieses Buch vor dem letzten Satzzeichen nicht aus der Hand legen möchte."

Sarah Teicher, Ostthüringer Zeitung

 

"Schipino erscheint in Svenja Leibers gleichnamigem Debütroman keinesfalls als romantisch verklärtes "Zurück-zur-Natur"-Idyll, sondern als Ort, der gerade durch seine Lage im gigantischen toten Winkel des neuen Russlands, durch seinen strukturellen Niedergang, seinen zeitweisen Bewohnern die Suche nach der eigenen Bestimmung ermöglicht..."

Klaus Richter, Neues Osteuropa

 

"Ein Buch voller Geheimnisse, die auch am Ende nicht vollends gelüftet werden. Ein Hochgenuss!"

Iris Kersten, Librithek.de

 

"In den Mittelpunkt ihres unerhört dicht komponierten Romans stellt (Svenja Leiber) einen Deutschen von Ende dreißig. Jan Riba hat sein Büro zugeschlossen und seine Frau verlassen, er hat sich bereits verloren, bevor er mit seinem Freund am Ort der "Erdschweigens" ankommt. Möglich, dass er sich gerade hier im Abseits wiederfindet - weil nichts dazu einlädt."

Karin Grossmann, Sächsische Zeitung

 

"Svenja Leibers unprätentiöse Sprache ist weit davon entfernt überladen zu wirken. Sie ist klar und prägnant, beinahe wortkarg - wie auch die Menschen in Schipino. Und obwohl die Autorin vieles offen lässt, gerade auch in Bezug auf die Geschichte ihrer Figuren, zeichnet sie in wenigen "Pinselstrichen" ein überraschend klares Bild von diesem Ort und den an ihn gebundenen Menschen. Ein außerordentlich gelungenes Romandebüt."

Miriam Seifert-Waibel, Emotion

 

 

 

 

 

„Lesezeit“/ Freiburg, Herbst 2010

 

Martin Gülich im Gespräch mit Svenja Leiber

 

Der Weg nach Schipino ist weit. Nimmt man den Zug, so springt man in Dudenki vom Wagen, eine Station in den Weiten Russlands, »das hölzerne Bahnhofsgebäude«, so heißt es, »versinkt im Gesträuch«. Aber die eigentlichen Beschwerlichkeiten der Reise beginnen erst hier. Moosige Wälder, die kilometerweit im Wasser stehen, glitschige Baumstämme über Flüsse, Brennnessel- und Schachtelhalmfelder.

 

Jan Riba, der ein aus dem Gleichgewicht geratenes Leben in Deutschland hinter sich gelassen hat, hat sich an der Seite seines Moskauer Freundes Viktor auf diesen Weg gemacht, der ihm nach gemeinsamen und viel zu langen Wochen in der Stadt den russischen Sommer zeigen will. Schipino besteht aus einer Handvoll Häuser und gut einem halben Dutzend Menschen, der Verfall ist allgegenwärtig, Orte der Sehnsucht sehen anders aus.

Svenja Leibers Roman ist ein in mehrfacher Hinsicht bemerkenswertes Buch, ein Text, der auch das mehrmalige Lesen verträgt, ja, sogar danach ruft, und der dennoch seine Geheimnisse nicht in Gänze offenlegt. Nicht die des Ortes und nicht die seiner Bewohner, die in einer eigentümlichen Symbiose leben und die eine zentrale Geschichte teilen, die Geschichte Maschas, der alles Gräuel der Welt widerfahren ist und deren Schatten seit ihrem Verschwinden über Schipino liegt: »Mascha war Schipinos Anfang und dann Schipinos Ende«.

Neben Jan Riba und der verschwundenen Mascha ist dabei Lilja die dritte zentrale Figur des Romans. Mit ihr verbringt Jan den Winter in Schipino und es ist ihre Geschichte, auf die das Buch am Ende zuläuft..

 

Martin Gülich: Schipino handelt von Orten und Menschen, die aus der Welt gefallen zu sein scheinen. »Schipino«, so heißt es an einer Stelle, »liegt weit im Abseits. So weit, dass es kaum zu erkennen ist.« Gab es so etwas wie einen Anfangsimpuls für Ihre Arbeit an dem Buch, den Sie benennen können?

 

Svenja Leiber: Ja, es gab einen ganz konkreten Anfangsimpuls, der sich jedoch nicht auf einen Ort, sondern vielmehr auf eine Person bezog. Ursprünglich war das Buch als eine Art Requiem auf eine junge Frau gedacht, aber nicht im Sinne eines Nachrufs, sondern vielmehr auf der Suche nach einer Sprache, die so viel Leben in sich trägt, dass sie das real beendete Leben eines Menschen irgendwie fortsetzt, um- oder weiterdichtet. Aber natürlich geht so ein Text seinen eigenen Weg, oder in diesem Fall »zwei Wege«. Dieser Dynamik habe ich mich gebeugt. Es ist etwas ganz anderes daraus geworden, als ich erwartet hatte. Aber Wege führen irgendwo hin, und so bin ich in »Schipino« gelandet, was ein reiner Kunstort ist, und ich würde es hier gerne noch offen lassen, ob er an der Peripherie oder im Zentrum liegt.

 

Sie hatten ein Grenzgänger-Stipendium der Robert-Bosch-Stiftung, das die Recherchearbeit für literarische Projekte unterstützt, die die Länder Mittel-, Ost- oder Südosteuropas in den Blick nehmen. Sind Sie früher schon durch Russland gereist? Hatten Sie, bevor Sie sich um das Stipendium bewarben, bereits ein »Schipino« im Kopf?

 

Ich war in den 90er Jahren relativ oft in Russland. Mich hat das Land, und vor allem seine Literatur, schon als Jugendliche zutiefst berührt. Ich habe es »getrunken«. Mir ist dort etwas begegnet, was ganz mit meinen Sehnsüchten übereinstimmte. Aber ich habe schon damals auch etwas anderes wahrgenommen, etwas wie eine große Zerstörung. Heute geht es mir manchmal so, dass ich sagen möchte: denk ich an Russland, denk ich an den zerstörten Menschen. Das darf man natürlich nicht falsch verstehen. Ich kenne wunderbare, unendlich begabte, auch glückliche Russen. Aber dennoch. Mir erscheint es wie eine Art »postsozialistisches Trauma«, welches den Menschen selber überhaupt nicht bewusst ist. Natürlich sehe ich das ganz von außen, ganz unwissend. Wenn ich aber Äußerungen von beispielsweise Juri Afanassjew über Russland lese, so beschreibt er aus seinem Wissen heraus exakt das, was ich intuitiv in Russland wahrgenommen habe.

 

Sie selbst haben Ihr Buch einmal einen »fliegenden Teppich« genannt. Ein schönes Bild für diesen Roman, der etwas sehr Schwebendes und nie gänzlich zu Greifendes hat. Haben Sie beim Schreiben je die Versuchung verspürt, manche der Leerstellen, die Sie lassen, zu füllen. Zum Beispiel diejenigen um Mascha, deren weiteres Schicksal zwar angedeutet, aber nie wirklich benannt wird.

 

Das Buch war einmal doppelt so lang. Zwangsläufig war da auch einiges konkreter. Mascha blieb immer in der Schwebe. Sie muss in der Schwebe bleiben. Sie ist, in ihrer Nähe zu Lilja, das Zentrum des Buches, aber ein Zentrum, was man nicht erreichen kann. Wissen Sie, das Buch ist ja auch ein Aventiure-Versuch, das ist mir erst am Ende klar geworden. Diese Figur des Wolfram von Eschenbach, Par-ce-val, sagt man auch, durch-dieses-Tal, so ungefähr. Jan Riba muss durch dieses »Tal«. Durch sein ganz persönliches, inneres. Und er wird fragen müssen: was fehlet dir? Aber das ist nur eine Ebene. Vieles bleibt auch unkonkret, weil Jan Riba einen unkonkreten Charakter hat. Sein Hauptzug ist Indifferenz. Mir war es wichtig, dass sich mit der Zeit herausstellt, Indifferenz ist auch eine Tat, oder eine Untat. Und so war es mein Versuch, Riba wenigstens von der Indifferenz in die Melancholie zu führen, welche früher auch als eine Sünde galt. Das ganze Buch sucht ja letztendlich auch nach dem Ausweg aus der Melancholie, in die wir, in Anbetracht unserer scheinbaren oder tatsächlichen Lage, ja ständig zu verfallen drohen.

 

Mir scheint, es geht in Schipino um weit mehr als einen Ort irgendwo in den Weiten Russlands. Dort, wo etwas aus der Welt gefallen ist, sieht man im Spiegel ja auch immer die Welt selbst.

 

So gesehen ist Schipino auch eines jeden Ort. Nur sieht dieser Ort bei jedem ganz anders aus. Natürlich. Und mit Sicherheit ist er kein russisches Dorf. Ich will ja nichts über Russland erzählen. Das kann ich gar nicht! Das ist ja mein inneres Russland. Das sind Bilder. Ich hätte auch einen Mönch am Meer beschreiben können, der war ja auch immer dabei, wenn ich am Tisch saß, aber ich musste mal vom Meer und vom Norden weg.

 

Eine für mich sehr eindrückliche Szene in Ihrem Buch ist die, als auf einmal der so lebenswichtige Herd aus dem Kochhaus verschwunden ist, und man ihn nach kurzer Suche an der Seite des langen Pawel unter Apfelbäumen findet, der ihn dort hingekarrt hat, um das Obst an Ort und Stelle einzukochen.

 

Der Herdtransport ist, neben seiner schlichten Absurdität, natürlich auch ein Ausbruchsversuch. Das tun Menschen. Sie denken, wenn das Glück nicht zu mir kommt, dann gehe ich einfach zum Glück. Manche reisen jahrelang um die Welt. Manche kommen mit viel Apfelkompott heim, andere mit blauen Flecken.

 

Im letzten Kapitel des Romans wechselt die Perspektive von einem auktorialen zu Jan Riba als Ich-Erzähler. Ist diese Verschiebung Ausdruck einer inneren Veränderung Ribas? Ist er auf eine Art angekommen?

 

Man könnte schon sagen, dass Riba irgendwo angekommen ist, aber letztendlich nur an einem Punkt, von dem aus er endlich losgehen könnte. Also, das Buch ist ja ein Buch vor dem Buch. Oder, um auf das Requiem zurückzukommen: Vielleicht wäre Riba, wäre er ein Komponist, am Ende des Buches in der Lage, dieses Requiem zu schreiben.

 

Frau Leiber, ganz herzlichen Dank für das Gespräch.